Anhang zu Georg Kaiser
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Nachfolgende Zusammenfassung seiner Forschungen zum Thema „Klosterwerke“ wurde dem Team „Geschichtsprojekt Blankenburger Waldfriedhof“ von Wolfgang Schilling, Blankenburg, zur Verfügung gestellt. Sie bildet den Sachstand im Dezember 2021 ab.
Klosterwerke Blankenburg – eines der größten Rüstungsverlagerungsprojekte der NS-Zeit
Mit dem sich wendenden Kriegsgeschehen des Zweiten Weltkriegs kam die deutsche Wehrmacht spätestens seit der Schlacht um Stalingrad 1942/43 auf ihrem Rückzug in eine immer bedrohlicher werdende Situation. Gezielte Luftangriffe der alliierten Kriegsgegner auf Anlagen der Rüstungsproduktion ließen bei Militärstrategen den Plan reifen, einen großen Teil der elementar wichtigen Waffenproduktion unter die Erde zu verlegen. Neben den wenigen dafür überhaupt in Betracht kommenden Höhlen (z. B. Heimkehle im Südharz) verlegte man sich darauf, untertägige Anlagen von Bergwerken zu nutzen. Deren bereits vorhandene Stollen sollten dazu massiv aufgeweitet werden. Federführend dabei war die nach ihrem Führer Fritz Todt benannte „Organisation Todt“, eine paramilitärisch organisierte Bautruppe zur Herstellung kriegswichtiger Bauten. Weil dafür kaum noch zivile Arbeitskräfte vorhanden waren, wurde die SS beauftragt, KZ-Häftlinge als verfügbare Arbeitskräfte bereitzustellen. So wurde neben dem Netz von Vernichtungslagern ein System von Arbeits-KZ errichtet, in denen die Häftlinge ohne jede Rechte bis zur völligen Erschöpfung als Arbeitssklaven schuften mussten.
Besonders der Südharz war ausgewählt worden, hier ein Zentrum der Untertageverlagerungen wichtiger Rüstungsfirmen unter dem Tarnnamen Mittelwerk GmbH zu errichten. So sollte der Kohnstein nahe Niedersachswerfen, massiv erweitert werden, um dort die von Peenemünde verlagerte Produktion der Langstreckenraketen A4 (volkstümlich V2) zu sichern.
Verbunden mit diesen Projekten war die Einrichtung möglichst ortsnaher Arbeitslager. Zu diesen Verlagerungsprojekten gehörte unter dem Decknamen „Porphyr“ in Blankenburg die „Klosterwerk GmbH“. Von einem bereits vorhandenen Stollen (heute Walter-Hartmann-Stollen), der die Eisenerzgrube Braunesumpf bei Hüttenrode mit Blankenburg verband, sollte eine der mit 20.000 m² größten untertägigen Räumlichkeiten für die Verlagerungen von Rüstungsproduktion in Deutschland entstehen.
Nachdem das Projekt zuerst mit zivilen Arbeitskräften begonnen wurde, kamen nach Absprachen mit der SS am 24. August 1944 die ersten 500 KZ-Häftlinge aus dem Stammlager Buchenwald nach Blankenburg. In das KZ-Nebenlager deportierten die NS-Kräfte vor allem belgische Widerstandskämpfer, die wegen der vorrückenden Front ins Reich gebracht wurden. Sie stellten etwa drei Viertel der Lagerinsassen (369 Personen). Unter ihnen war auch Albert Van Hoeij, der den Zustand des Lagers später so beschrieb: „Ein öder Platz, gesichert mit einem drei Meter hohen Stacheldrahtzaun und hohen Wachtürmen. Dort standen schon eine Holzbaracke für die SS und 42 Hitlerjugend-Zelte. In jedem Zelt wurden 12 Häftlinge untergebracht.“
Die Arbeitsbedingungen beschreibt Günther Pape in seiner Broschüre „Wider das Vergessen“ (2008) so: „Der größte Teil der Häftlinge wurde zum Stollenvortrieb und Ausbau in Schichten zu je 12 Stunden eingesetzt. In einer kurzen Essenpause erhielten sie im Stollen eine Kohlsuppe.“ Hinzu kam, dass die Häftlinge täglich 1,5 km zum Arbeitsort zu Fuß zurücklegen mussten.
Als hinderlich für das ehrgeizige Vorhaben erwies sich sehr schnell, dass die eingesetzten Arbeitskräfte über keinerlei bergbauliche Erfahrungen verfügten. Trotz anfänglich guten Gesundheitszustandes der belgischen Häftlinge gerieten sie durch fortgesetzte Unterernährung schnell in einen gesundheitlich desolaten Zustand, und waren somit nicht in der Lage die geforderte Arbeitsleistung auch nurannähernd zu erbringen. Das faktische Vorhandensein einer Krankenbaracke mit 40 Betten vermochte das nicht zu ändern, da keine Medikamentenversorgung existierte.
Trotz der ambitionierten Planung und dem rücksichtslosen Einsatz von Arbeitskräften wurde bis zum Kriegsende lediglich der südöstliche Teil der „Klosterwerke“ fertiggestellt. Vom nordwestlichen Teil in Richtung Oesig war nur der Ausbruch bewältigt.
Die kaum erträglichen Arbeitsbedingungen, der Terror von SS und Kapos, verstärkt durch die Unterernährung, führten schon in kurzer Zeit zu Todesfällen unter den Zwangsarbeitern. Frank Baranowski geht in seinem Buch „Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschland 1929-45“, S. 484 davon aus, dass einschließlich der bei der Räumung des Lagers 1945 auf den sogenannten Todesmärschen ermordeten Häftlinge durch Zwangsarbeit und Verschleppung über 100 von ihnen ums Leben kamen. Die genaue Zahl der Toten ist bis heute nicht definiert.
Die Toten wurden anfangs in das Krematorium von Quedlinburg gebracht, später dann nur noch einfach am Rande des Lagers im Acker verscharrt. Nach der Befreiung 1945 erließen die US-amerikanischen Besatzungstruppen den Befehl zur Exhumierung und ehrenvollen Beisetzung auf dem Friedhof am Lühnertorplatz. Dies unter verpflichtender Beteiligung der örtlichen Bevölkerung.
Zu den strategisch wichtigen Rüstungsbetrieben, die für eine Untertageverlagerung vorgesehen waren, gehörte ein großes Kurbelwellenwerk in Hamburg-Glinde. Hier wurden Kurbelwellen für Flugzeuge, Panzer und diverse LKW hergestellt, die bis zu mehrere hundert Kilogramm schwer waren. Der Verlagerungsbefehl der Produktion „in die geschützten untertägigen Bereiche des Harzes“ datiert vom 5. Mai 1944 und befindet sich im Krupp-Archiv Essen. Einige Maschinen waren bereits per Bahn unterwegs, als das Kriegsende einer Aufnahme der Produktion zuvorkam.
Nach dem 8. Mai 1945 forschte die Kurbelwellenfabrik im Bereich Hannover, um den Verbleib der von ihnen abgesandten Maschinen zu ermitteln und eine Rückführung zu organisieren. Über das Ergebnis ist nichts bekannt.
Unter den belgischen Häftlingen gab es (wie der Historiker Günther Pape berichtet) eine Gruppe von katholischen Priestern, die ihrem Glauben verpflichtet im April 1945 eine seelsorgerische Verbindung zur örtlichen Gemeinde suchten. Die SS verhinderte dies. Daraufhin überbrachte ein Deutscher, dessen Name nicht überliefert ist und dem die politischen Häftlinge Handlangerdienste leisteten, einen geheimen Brief an den Pfarrer der katholischen Gemeinde in Blankenburg Bernward Neisen. Dieser auf Zementsackpapier in Latein geschriebene Kassiber, in dem um Hostien für die Osterkommunion gebeten wurde, blieb unentdeckt. Auf dem Rückweg gelangten konsekrierte Hostien in einer als Hühneraugenpflaster getarnten kleinen Metallschachtel in das KZ.
Nach dem Krieg wurden die geschaffenen Hohlräume den nahen Harzer Werken zugeordnet, um sie als Lager zu nutzen. Dies erwies sich wegen der hohen Luftfeuchtigkeit als nicht realisierbar. Der spätere Versuch, hier eine Champignonzucht zu etablieren, blieb genauso erfolglos wie der Plan, eine Sommerreserve an Getränken einzulagern. Auch das scheiterte an der hohen Luftfeuchtigkeit, die die Kronkorken schnell rosten ließ.
Obwohl der Walter-Hartmann-Stollen wegen seiner Wasserführung und Verwahrproblemen im Bereich des Stollenmundloches auch nach dem Ende des Bergbaus bergbaulich kontrolliert wurde, herrschte zu den Hohlräume und der Geschichte der Klosterwerke eine öffentliche und auch individuelle Sprachlosigkeit, die letztlich dazu führte, dass die Anlage weitgehend in Vergessenheit geriet. Einzig ein Erdfall Anfang der 1960er Jahre im Bereich der Eisenbahnlinie Hüttenrode-Blankenburg, erinnerte an die darunter liegenden Hohlräume. Aus Verkehrssicherheitsgründen wurden die direkt unter der Trasse liegenden Hohlräume verfüllt. Aus den 1970er Jahren datiert ein Gutachten des damals verantwortlichen Bergingenieurs Gerhard Rösicke, das den von den Häftlingen ausgebauten Segmenten im südöstlichen Teil eine nach wie vor gute Standsicherheit bescheinigte.
Aus dieser Vergessenheit wurde die Anlage 1982 durch den Fund eines Dokumentes im Archiv der katholischen Kirchgemeinde Blankenburg und folgender Nachforschungen gerissen (Siehe Darstellung zu Georg Kaiser). Nach den politischen Veränderungen widmete sich Günther Pape im Jahr 2008 in seiner Forschungsarbeit „Wider das Vergessen“ auch den Klosterwerken.
In den letzten Wochen des Jahres 2020 geriet die Anlage wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Am 7. Oktober 2020 berichtete die Volksstimme über die nahende abschließende Verfüllung der Hohlräume. Nach Einschätzung von Bergingenieur Rösicke betraf das die zu diesem Zeitpunkt noch nicht verfüllten ca. 5 % der einst großangelegten NS-Rüstungsproduktionsstätte.
Auf Nachfrage erklärte die Obere Denkmalschutzbehörde des Landes Sachsen-Anhalts, dass sie erhebliche Bedenken hat, weil mit dieser Sicherungsmaßnahme einer der letzten historischen Orte für Zwangsarbeit und NS-Terror der Region Blankenburg für lange Zeit, wenn nicht für immer, unzugänglich würde. Sie forderte damals, dass wenigstens ein 50 Meter langes kleines Teilstück des standsicher in Beton ausgebauten Areals für eventuelle museale Nachnutzung erhalten bleiben möge. Das Landesverwaltungsamt (LVWA) stellte fest, dass die Obere Denkmalschutzbehörde „die ehemalige Luftschutz-Stollenanlage Klosterwerke als ein Baudenkmal“ nach dem Denkmalschutzgesetz darstellt und „dieses überregional bedeutsame Stollensystem aufgrund seiner technisch-wirtschaftlichen Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt“. Weiter heißt es: „Die Stollenanlage ist als eine der größten ihrer Art in Deutschland nach 1943… während der NS-Zeit als Rüstungsfabrikationsstätte durch KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter ausgebaut worden und besitzt deshalb eine signifikante, didaktisch eindrucksvoll erlebbare Denkmaleigenschaft“.
Nachdem die aktuelle Entwicklung und der historische Bezug einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurden, meldeten sich Hinterbliebenen- und Opferverbände. Selbst aus Frankreich wurde Protest artikuliert. Hochbetagt äußerte sich auch Günther Pape noch einmal. Es müsse verhindert werden, dass „hier Geschichte beerdigt wird, nur weil sie unbequem ist.“
Eine Gesprächsrunde u. a. mit den genannten Verbänden führte dazu, dass einerseits keine Verfüllung der unter Denkmalschutz stehenden 50 Meter erfolgt, andererseits eine systematische Aufarbeitung der Geschichte der Zwangsarbeit in der Stadt erfolgen soll. Als ein erstes Ergebnis ist vom Museum der Strafvollzugsanstalt Wolfenbüttel am Tummelplatz eine Gedenkstele aufgestellt worden, die auch an die Leiden der KZ-Häftlinge der Klosterwerke erinnert. Zudem hat der Stadtrat Anfang 2021 beschlossen, eine dem ehemaligen Arbeitsort der Zwangsarbeiter im Hartmann-Stollen benachbarte Straße nach dem Häftling Albert Van Hoeij zu benennen. Die Namensgebung erfolgte am 14. Dezember 2021.
An der Sichtbarmachung dieses in Blankenburg lange verdrängten Zeitabschnitts deutscher Geschichte haben der katholische Pfarrer Georg Kaiser sowie das Gemeindemitglied Klaus Breitkopf und der Blankenburger Museumsleiter Hans Bauerfeind bedeutenden Anteil. Der Fund des auf einem Zementsack geschriebenen Briefes im Archiv der katholischen Gemeinde im Jahr 1981 und die anschließenden Nachforschungen offenbarten eine Geschichte von Menschlichkeit und Mut in einer Zeit, in der sie kaum noch auszumachen waren.
Wolfgang Schilling
Anlagen (Fotos und Dokumente)
W. Schilling (Foto): Abmauerung der ausgebaute 50-m Strecke (Stand April 2021)
W. Schilling (Foto): West-Bereich mit bereits 2007 teilweise mit Versatz zugespült
W. Schilling (Foto): West-Bereich (Teilstrecke mit Stand der Ausbruchshöhlung vor der Verfüllung 2021)
B. Dörge, Stadtverwaltung (Foto): Schaukasten der in der Katholischen Kirche mit Originalbrief, Metallschachtel und Transportbeutel
Kath. Kirchengemeinde: Übersetzung des Briefes und der Chronikeintrag
Archiv der kath. Kirchengemeinde: Brief von Pfarrer Neisen vom 29.04.1948
Quellen
W. Schilling, Forschungsarbeit „Klosterwerke Blankenburg – eines der größten Rüstungsverlagerungsprojekte der NS-Zeit“. (Stand Dez. 2021)
Baranowski, Frank: Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929-45, Rockstuhl-Verlag 2013
Pape, Günther: Wider das Vergessen (3): Konzentrations- und Zwangsarbeitslager in Blankenburg/Harz, Eigenverlag 2008
Wagner, Jens-Christian: Das KZ Außenlager Blankenburg- Oesig, (Deckname „Klosterwerke“) – Geschichte und Erinnerung, Gedenkstättenrundbrief „Erinnern“ 2/2021
Wagner, Jens-Christian: Produktion des Todes. Das KZ Mittelbau-Dora, überarbeitete Nachauflage, Wallstein Verlag 2015
Schilling, Wolfgang (Blankenburg), Hrsg.: Napola –Verführte Elite im Harz, Grafisches Zentrum Cuno 2018,
Stadtarchiv Glinde, Hrsg.: Kurbelwellen aus Glinde, Begleitheft zur Ausstellung 2014 Harzer Volksstimme: Zeitungsbeiträge von Wolfgang Schilling, u.a. 07.10.2020, 23.11.2020 und 09.08.2021