Reinhard Scholze
Mediziner, Chefarzt der Blankenburger Poliklinik
(1921 – 2004)
Reinhard Scholze war einer der wenigen Vertreter seines Jahrgangs 1921, die den 2. Weltkrieg überlebt hatten. Als Arzt war er von der Organisation der ambulanten medizinischen Versorgung in der DDR überzeugt und machte es sich zur Lebensaufgabe, in Blankenburg eine leistungsstarke Poliklinik zu schaffen.
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Reinhard Scholze wurde am 15. Juli 1921 in Blankenburg als Sohn des Gymnasiallehrers Dr. Heinrich Scholze und seiner Frau Elisabeth, geb. Fellmer, geboren. Die Mutter war Klavierlehrerin und Dichterin. Der Gedenkspruch vor der Martha-Kapelle auf dem Blankenburger Waldfriedhof „…denn zwischen Liebe und Tod wurzeln die Wunder der Welt“ ist ihrem Gedicht „Erkenntnis“ entnommen.
In seiner Geburtsstadt besuchte Reinhard Scholze die Schule. Mit seiner Mutter am Klavier und seiner Schwester Marianne am Violoncello bildete der junge Reinhard das musikalische „Trio Scholze“, das häufig in den Cafés und Hotels der Kurstadt auftrat. Er spielte Violine, Viola sowie Klavier. Den ersten öffentlichen Auftritt hatte er übrigens auf Helgoland. Als sein Geigenlehrer Hugo Behr ohne Angehörige verstarb, wurde er im Familiengrab Scholze bestattet.
Im ersten Kriegsjahr 1940 legte er im Gymnasium seiner Heimatstadt (damals „Oberschule für Jungen“) das Abitur ab.
An der Schule war ursprünglich sein Vater tätig gewesen. Bereits 1929 hatte ihn die damalige Braunschweigische Regierung zu einem Kursus für Lehrer zum Völkerbund und zur internationalen Zusammenarbeit nach Genf geschickt. Nach der Machtergreifung waren die Nationalsozialisten schon 1933 aus dem Völkerbund ausgetreten. Aufgrund eines Artikels über die „Völkerversöhnung in der Praxis des Unterrichts“, den Heinrich Scholze in der Zeitschrift „Die neue Erziehung“ 1930 veröffentlichte, war er später suspendiert worden. Ein solches Lehrziel passte so gar nicht in die nationalsozialistische Kriegsvorbereitung und spätere Kriegsführung. Erst 1946 konnte er wieder am örtlichen Gymnasium arbeiten.
Inspiriert durch das Vorbild seines Patenonkels, des Kurarztes Dr. Brunotte in Bad Gandersheim, begann Reinhard Scholze im Jahr 1940 ein Studium der Medizin in Hamburg. Nach wenigen Monaten wurde er zum Militärdienst eingezogen und als Sanitäter eingesetzt. Schwer verwundet wurde er 1942 aus dem Dienst entlassen. Während er jemanden verbinden wollte, hatte er durch einen Schuss eine Kopfverletzung erlitten. Seitdem litt er lebenslang unter einer Gesichtslähmung. So für einen Kriegseinsatz dauerhaft untauglich geworden, konnte er ab 1943 sein Studium jetzt in Marburg an der Philipps-Universität fortsetzen. Nach seiner Promotion war er zunächst in Marburg und Wedel tätig.
Im Jahr 1952 kam er nach Blankenburg zurück und wurde am Krankenhaus Assistenzarzt und ab 1957 Facharzt für Innere Medizin.
In seiner Heimatstadt, die nun zur DDR gehörte, traf er auf ein staatliches Gesundheitswesen mit einer sogenannten Poliklinik, eine Neuerung, die in der DDR nach sowjetischem Vorbild im ganzen Land entstanden war. Eine solche Poliklinik als ambulantes Versorgungszentrum für die Stadt Blankenburg und die umliegenden Gemeinden war bereits am 1. Dezember 1949 im ehemaligen Hotel „Bestehorn“ eingeweiht worden. Von der Idee einer Bündelung der medizinischen Versorgung war Reinhard Scholze angetan. Für ihn war eine enge fachgebietsübergreifende Zusammenarbeit der Mediziner im Interesse der Patienten das Gebot der Moderne.
Diese ersten Blankenburger Jahre waren geprägt von der Kooperation mit dem Chefarzt des Krankenhauses im ehemaligen Alumnat, Dr. Heinz Meyer. Dort führte er die sogenannte Intubationsnarkose und zur verbesserten Diagnostik bei Durchblutungsstörungen die Arteriografie ein.
Ein Meilenstein wurde für ihn die Möglichkeit, 1961 auf einem Krebskongress in Salzburg vortragen zu können. Die dort erreichte Aufmerksamkeit führte zu einem 10-jährigen Forschungsauftrag zu Krebsleiden in einem internationalen Rahmen, der auch Fachkollegen in den USA einbezog.
Mehr und mehr wurde ihm auch klar, dass in Blankenburg die von ihm unterstützte Grundidee der Polikliniken nur zum Erfolg kommen würde, wenn man alle noch im gesamten Stadtgebiet verstreuten Fachrichtungen an einem Ort zusammenführt. Die von ihm erkannte Notwendigkeit der Konzentration stieß dabei an objektive Grenzen. Einerseits war am Standort des Haupthauses der Poliklinik kein Platz vorhanden, andererseits hatte sich der Platzbedarf der schon dort befindlichen Fachrichtungen erweitert. Daraus folgte für ihn, dass am Standort ein Neubau oder mindestens ein Anbau an das bestehende Gebäude erfolgen müsse. Aus dieser Erkenntnis wurde dies für ihn eine selbst gewählte Lebensaufgabe.
Zwischenzeitlich zum Chefarzt in der Poliklinik avanciert und gleichzeitig als parteiloser Stadtverordneter verankert, nutzte er seine Reputation und alle anderen Verbindungen, die unter planwirtschaftlichen Bedingungen wichtig waren. 1973 gelang es, einen sogenannten Kommunalvertrag abzuschließen, ein in der DDR nicht unüblicher Start einer größeren kommunalen Investitionsmaßnahme. Damit wurden 36 Blankenburger Betriebe in die Pflicht genommen, sich an dem Vorhaben mit ihren Mitteln zu beteiligen. In der Regel ging es dabei weniger um die Bereitstellung von Finanzen sondern vielmehr um Materialbeschaffung bis hin zu ganz praktischen Hilfestellungen durch Arbeitskräfte. Als erster Schritt konnte noch 1973 ein Anbau an das Hauptgebäude der Poliklinik in der damaligen Ernst-Brüst-Straße (heute: Ludwig-Rudolf-Straße) eingeweiht werden und die Planungen zu einem großen Poliklinik-Neubau begannen. Dessen Grundstein wurde dann am 21. April 1976 gelegt.
Damit begann für Reinhard Scholze neben seiner ärztlichen Tätigkeit das DDR-übliche, heute kaum noch nachvollziehbare Ringen um Baumaterial, Arbeitskräfte und letztlich um medizinische Ausrüstungen. Das Vorhaben verlief mit allen Höhen und Tiefen, so auch zeitweiligen Stillständen auf der Baustelle.
Für die Fertigstellung waren letztlich fünf Jahre erforderlich, bevor der Neubau der Poliklinik im Frühjahr 1981 in Betrieb genommen werden konnte. Hier waren nun die 18 bisher im Stadtgebiet verstreuten Abteilungen konzentriert, hinzu kam neu eine Physiotherapeutische Abteilung.
Reinhard Scholze war am Ziel; seinem auch ganz persönlichen Ziel. Für sein Engagement erhielt er anlässlich des 16. Blankenburger Sommers im Jahr 1981 den Ehrenpreis der Stadt Blankenburg (Harz).
In einer unveröffentlicht gebliebenen Chronik der Poliklinik Blankenburg (Harz), schrieb er 1988: „Mit der Errichtung der Polikliniken wurde der Gesundheitsschutz als gesamtgesellschaftliche Aufgabe entwickelt. Die medizinische Betreuung konnte unterschiedslos und unentgeltlich gewährleistet werden.“ Am Ende der DDR im Jahr 1990 gab es rund 1.600 Polikliniken und Landambulatorien. Während die Organisationsform nicht in Frage gestellt wurde, litten auch Polikliniken zunehmend unter dem Mangel an medizinischen Ausrüstungen und Medikamenten.
Die politischen Veränderungen 1990 bewirkten mit einer Übergangszeit bis 1995 das Aus für die DDR-Polikliniken. Im Vereinigungsprozess hatten sie trotz der Sympathien einiger bundesdeutscher Politiker gegen die starken Lobbyverbände der westdeutschen niedergelassenen Ärzteschaft keine Chance. Für sie waren Polikliniken mit ihren dort angestellten Ärzten das Sinnbild eines staatlich gelenkten Gesundheitswesens. Geblieben ist die Idee, dass unterschiedliche Fachdisziplinen räumlich enger zusammenrücken. In Ärztehäusern oder Gesundheitszentren bilden sie aber im Gegensatz zu den Polikliniken keine organisatorische Einheit.
Diese Entwicklung betraf auch noch Reinhard Scholze und „seine“ Poliklinik. Das wirkte sich so aus, dass Anfang der 1990er Jahre einige meist junge Ärzte mit hohem Investitionsaufwand eigene Niederlassungen einrichteten und die Poliklinik verließen. Ältere Ärzte, für die sich solche Investitionen mit Blick auf ihren nahenden Ruhestand nicht lohnten, blieben zunächst im Haus.
Es folgte eine kurze Phase der Selbstorganisation der verbliebenen Ärzte als Ärztehaus in der nach wie vor städtischen Immobilie. 1996 wurden sowohl die entstandene Selbstorganisation als auch das Gebäude selbst durch die Eigentümerin der benachbarten Apotheke übernommen. Nach einjähriger umfassender Modernisierung wurde das Haus als „Dr.-Scholze-Gesundheitszentrum“ wiedereröffnet. In den Folgejahren wurde der Standort als Zentrum ambulanter medizinischer Angebote und weiterer medizinischer Dienstleistungen weiter ausgebaut und damit langfristig gesichert.
Dr. Reinhard Scholze schied aus Altersgründen im Alter von 70 Jahren am 31. März 1992 aus. Er verstarb am 19. September 2004.
Übrigens wurde in der Bundesrepublik im Jahr 2004 gesetzlich ermöglicht, Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu gründen, Einrichtungen, die ambulante medizinische Versorgung aus einer Hand anbieten und niedergelassene Ärzte als Angestellte beschäftigen können. Trotz weiterhin unterschiedlicher Auffassungen zu solchen Einrichtungen stellte der Vorstand der Betriebskrankenkasse (BKK) Franz Knieps am 10.11.2019 in einem Artikel der WELT fest, dass die heutigen MVZ 30 Jahre nach dem Fall der Mauer legitime Nachfolger der einstigen Polikliniken sind.
Heutige Spuren
Grabstätte auf dem Waldfriedhof
Das Projekt
Der Blankenburger Waldfriedhof ist mit seinen Grabstätten ein regionaler Spiegel deutscher Geschichte, die in ihrer Zeit von hier lebenden Menschen getragen und in vielen Fällen aktiv mitgestaltet wurde.
Die Epochen und Ereignisse ließen sich oft an mehreren Personen abbilden, Bei deren Auswahl handelt es sich um eine notwendige Einschränkung. Die Inhalte sind von Schülerinnen und Schülern und geschichtlich interessierten Bürgerinnen und Bürgern zusammengetragen worden und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie folgen den Grundsätzen, geschichtliches Interesse zu wecken und die jeweiligen Lebenswege, Prozesse und Entwicklungen aus dem Blickwinkel der freiheitlich demokratischen Grundordnung darzustellen.
Das Projekt ist in Kooperation mit dem Land Sachsen-Anhalt, der Stadt Blankenburg und dem VHS-Bildungswerk entstanden. Regionale Bezüge und Hinweise auf weiterführende Quellen sollen motivieren, sich gemeinsame Geschichte zu erschließen.
Für weiterführende Hinweise und etwaige Korrekturen ist das Team Friedhofsprojekt offen. Für die Vermittlung steht das Stadtarchiv als Ansprechpartner zur Verfügung.
Quellen
Elisabeth-Scholze-Fellmer: Zwischen Liebe und Tod. Neue Gedichte, Braunschweig: Appelhans und Comp. 1929.
Heinrich Scholze: Völkerversöhnung in der Praxis des Unterrichts, in: Die Neue Erziehung 12 (1930), S. 196–200 u. 274–277.
Heinrich Scholze: Kursus für Lehrer über Völkerbund und internationale Zusammenarbeit in Genf, in: Deutsches Philologen-Blatt 38 (1930), H. 44, S. 683–684.
Nachruf: In Würdigung des Schaffens und der Lebensleistung von Dr. Reinhard Scholze, in: Amtsblatt 11 (2004).
Reinhard Scholze: Chronik der Poliklinik Blankenburg. Konvolut, unveröffentlicht: o.J.
Wolfgang Reimann: Streit um Blankenburgs neue Poliklinik. Metallbauer mussten für Bau Extra-Fassaden produzieren, in: Harzer Volksstimme, vom 23. November 1999, S. 8.
Familienchronik Scholze
Nachlass von Dr. Reinhard Scholze
Bilder
Dr. Scholze privat und bei der Arbeit, Fotos (3): Familienarchiv
Ruhestätte der Familie auf dem Waldfriedhof, Foto: B. Falkner
Internet
Anja Ettel, Caroline Turzer: Polikliniken. Das DDR-Konzept, das nicht totzukriegen ist, in: DIE WELT
Zugriff: 2.11.2021
Impressum
Arbeitsgemeinschaft Geschichte des Gymnasiums „Am Thie“ Blankenburg (Harz) und Team Friedhofsprojekt
Bearbeitung: Christoph Georg Rohrbach, Ulrich-Karl Engel (Team Friedhofsprojekt)
Projektleitung: Benedict Volkert
Internetpräsentation: Jörn Zuber
Für die Unterstützung bei der Erarbeitung dieser Seite danken wir Familie Rohrbach sowie Herrn und Frau Dumeier und Herrn Effler von der Stadtverwaltung.